Gefangene der Zukunft, Essenz ist der erste Teil der Buchtrilogie.
Gefangene der Zukunft – Essenz
Ein überraschender Angriff der Erzfeinde bedeutet das Ende des Planeten Tetradis. Seine Bewohner sehen nur noch einen einzigen Ausweg, um zu retten, was es zu retten gilt: Tetradis wird durch eine Kernspaltung in kosmischen Staub aufgelöst. Kurz zuvor starten die Tetraden allerdings das Protokoll „Essenz“ und diejenigen, die sich auf ein Schiff retten können, entkommen mit einem Hypersprung in eine andere Sphäre.
Alle von der Matrix aufspürbaren Essenzen werden extrapoliert und ins Universum geschickt, wo sie sich Menschenseelen suchen, in denen sie sich manifestieren können.
Doch die Kernspaltung bringt das Universum und seine Zeit- / Raumgefüge ins Wanken. Statt im Nebelmeer des Systems des schwarzen Fixsterns zu landen, taucht das Raumschiff Wellenhand in der Nähe des irdischen Mondes aus der Fahrt in Lichtgeschwindigkeit auf – im Erdenjahr 1969.
Gleichzeitig setzt Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuss auf den Mond und wird in diesem Moment von seiner Essenz heimgesucht, welche ihm offenbart, dass die Menschheit nicht allein im Universum ist, sondern sich unzählige Lebewesen in den Clustern befinden, welche alle durch den Erzfeind, die Reptoide, bedroht werden.
Hörprobe: Essenz
Leseprobe: Essenz
Letlah sass auf seinem Stuhl vor den riesigen Hologramm-Bildschirmen im Kommandoraum des Pyramidenkomplexes und beobachtete das Geschehen auf dem Planeten. Er sah auf den Schirmen die ankommenden und abfliegenden Schiffe der einheimischen und fremden Völker. Seine Aufmerksamkeit galt aber besonders dem Generationenschiff Helix, das rund 10‘000 Menschen beherbergen konnte.
Die Siedler waren seit Wochen dabei, das Schiff zu beladen und für die über 40 Jahre lange Reise auf die Erde vorzubereiten. Im Erdenjahr 2012 sollte das Generationenschiff auf dem Planeten Erde landen und die Menschen in ein neues Zeitalter führen. Die Erdenbewohner nannten diesen Zeitpunkt „Die Rückkehr der Götter“ und hatten jahrtausendelang darauf gewartet. Sie hatten jedoch schon lange vergessen, woher sie kamen und dass der rund 40 Lichtjahre entfernte Planet Tetradis ihr Ursprung war. Damals, vor über 100‘000 Jahren, hatten dessen Bewohner mehrere Generationenschiffe in das Universum gesandt, um dieses zu besiedeln. Die Schiffe waren autark gewesen und in der Lage, ganze Planeten zu terraformen. Und immer hatten sie die Essenz des Lebens mit an Bord gehabt.
Tetradis hatte seine Blütezeit schon lange hinter sich und die Ressourcen waren ausgebeutet. Nur noch wenige Millionen Menschen lebten auf dem Planeten und bereiteten die letzte Expansion der Einheimischen vor – die finale Reise zu verschiedenen Planeten im Umkreis von 40 bis 80 Lichtjahren. Die tetradischen Schiffe verfügten über einen treibstofflosen Antrieb, der es ihnen ermöglichte, mit Lichtgeschwindigkeit ferne Systeme zu bereisen. Seit den kosmischen Kriegen vor mehreren Hundert Jahren waren nuklear-interstellare Pulsantriebe verboten. Als gegen Ende der Cluster-Kriege fast alle Völker ausgelöscht gewesen waren, weil die Zerstörungskraft der Bomben und Schiffe übermächtig und kaum kontrollierbar geworden war, hatten die verbliebenen Bewohner des Clusters ausnahmslos eine Raumfahrts-Konvention unterzeichnet. Der Cluster war somit zu einer Schutzzone geworden, welche sich ausgehend vom Cluster-Zentrum in einem Radius von über 1000 Lichtjahren erstreckte.
Letlah sah auf den Schirm und beobachtete die Helix mit grösster Sorgfalt. Er war nicht mehr der Jüngste, im Vergleich zu den Siedlern, die er gerade im Blickfeld hatte, sogar schon fast ein Greis mit seinen 102 Jahren. Seine langen, hellen Haare hatte er zu einer Art Zopf zusammengeflochten, der ihm locker über die Schulter fiel. Sein Gesicht war glatt und man sah ihm das Alter nicht an. Im Gegensatz zu den Menschen mussten sich die Tetraden nicht rasieren, sie hatten keine Körperbehaarung. Nur auf dem Haupt trugen sie feines Haar, das sich vorwiegend in sehr hellen Farbnuancen bis zu hellbraun hielt und zu ihren Augen passte, die ausser wenigen Ausnahmen in bernsteinfarbenen Tönen blau und grün waren. Letlah sah den Siedlern dabei zu, wie sie Waren aller Art in das Schiff einluden. Schliesslich lag es in seiner Verantwortlichkeit, dass alles richtig zu und her ging. Es hing viel davon ab, dass das Schiff pünktlich abfliegen konnte und zum richtigen Zeitpunkt auf die Erde treffen würde. Sonst machte alles keinen Sinn. Die Menschen warteten auf diesen Zeitpunkt, wenn auch fast ausnahmslos mit Schrecken. Vielleicht hatten sie Angst, weil sie nicht wussten, dass es danach weiterginge. Es war kein Weltuntergang, wie sie es nannten, sondern bloss der Beginn einer neuen Ära.
Die meisten Siedler waren Mitte zwanzig und kerngesund. Im Durchschnitt lag die Lebensdauer der Tetraden bei beachtlichen 140 Jahren Erdenzeit. So würde nach einer Reise von 40 Jahren die Grosszahl von ihnen noch in den besten Jahren sein. Fruchtbarkeit und Stärke war Voraussetzung für den Überflug, denn es war erwünscht, dass während der Reise Kinder gezeugt wurden. Allerdings standen den Tetraden dafür verschiedene Varianten zur Verfügung: Traditionelle Zeugung, künstliche Befruchtung oder Klonung. Auf die Entwicklung der Kinder hatten die Varianten keinen Einfluss, Gendefekte konnten mittels DNA-Analyse schnell beseitigt werden. Jedoch war es bis zum heutigen Zeitpunkt trotz intensiver Forschung nicht möglich gewesen, die Lebensdauer der Tetraden weiter zu erhöhen. Es schien, als ob in ihnen ein verschlüsselter Gen-Code unbekannten Ursprungs vorhanden war, welcher sie ab einem gewissen Alter unaufhaltsam sterben liess.
„Ladung der Fusionsreaktoren bereit machen“, sprach Letlah in das nicht sichtbare Mikrofon der Hologramm-Schirme. „Verstanden, Kommandant, Fusionsreaktoren werden geladen“, ertönte es im Raum. „Der Captain und seine Crew werden in Kürze beim Hangar eintreffen und ungefähr in einer Stunde mit dem Boarding beginnen, halten Sie sich bereit.“ Letlah sprach zum Chief der Beladungs-Truppe und beobachtete das Geschehen von seinem Kommandoraum aus. Die letzten Fusionsreaktoren wurden in die Helix gebracht und die Cargo-Tore des riesigen Raumschiffes wurden langsam geschlossen. „Kommandant Letlah, wir sind soweit. Die Reaktoren sind verladen. Wir sind bereit für den Empfang der Crew“, informierte der Leiter der Beladung. „Sehr gut. Sie ist unterwegs und wird demnächst eintreffen.“
In diesem Moment landete sanft ein kleines Schiff neben der Helix und brachte über hundert Crewmitglieder zum Vorschein. Die Piloten und ihre Flugbegleiterinnen und –begleiter liefen die lange Fluggastbrücke entlang auf die Schleuse der Helix zu. Die Helix, ein Prachtschiff von mehreren Hundert Metern Länge, schwebte lautlos in der Luft, nur wenige Meter über dem Boden. Im Schleusenraum wurden alle Crewmitglieder mit einem DNA-Scanner identifiziert und für den Aufenthalt an Bord authentifiziert. Sie hatten nun noch 30 Minuten Zeit, sich in ihren Kabinen zu installieren, bis die Siedler das Schiff besteigen würden.
„Captain, führen Sie die Menschen in ein neues Zeitalter, es ist an der Zeit, dass die Erdenbewohner wieder zu ihrem Ursprung zurückkehren und die Wahrheit über ihre Herkunft erkennen“, rief Letlah dem obersten Flugkapitän zu, als dieser im Begriff war, über die Schleuse an Bord der Helix zu gehen. „Ich gebe mir alle Mühe Kommandant“, antwortete dieser aufrichtig, salutierte und verschwand im Innern der Helix.
In diesem Moment tauchten wie aus dem Nichts über dem Himmel des Planeten rote Punkte auf den Schirmen des Kommandanten auf, erst wenige, dann immer mehr. Mächtige Explosionen erschütterten den Pyramidenkomplex, in dem Letlah sass, und innert weniger Sekunden war der Flugplatz umhüllt von Explosionen, Rauch und Feuer. „Alarm!!!“, schrie Letlah und aktivierte das Notfall-Verteidigungsgitter des Planeten. Ein rotes Energienetz umhüllte innert kürzester Zeit die ganze Atmosphäre. „Was zur Hölle…!“ Letlah traute seinen Augen nicht, als er die Schiffe auf den Schirmen sah. „Es sind Reptoide!“, keuchte er in das Mikrofon. Einige Generäle schalteten sich ebenfalls ein und bestätigten die Sichtung. „Ja, die Dreiecksform der Schiffe ist eindeutig. Sie sind es!“, schrie einer durch den Lautsprecher. „Wie kann das sein, ich dachte die wären alle ausgerottet?!“, rief Letlah. „Wir werden es herausfinden“, meinte der Master-General mit kräftiger und ruhiger Stimme. Er war der Einzige, der nicht ins Mikrofon brüllte.
Letlah wurde fast schwarz vor Augen. Mit diesem Ereignis hatte niemand gerechnet. Alles war bisher reibungslos gelaufen, die Helix war so kurz davor gewesen, Tetradis zu verlassen. Er musste sich an eine Säule lehnen, um nicht zu kollabieren, als er zusah, wie die Reptoiden-Schiffe die Helix befeuerten und das prächtige Schiff samt der Crew an Bord in Flammen aufging. Seine ganze Arbeit der letzten Wochen war in wenigen Sekunden zerstört worden. Doch nicht nur das, dieser Vorfall hatte noch weit grössere Folgen. Das, worauf die Menschen seit Tausenden Jahren gewartet hatten, würde nun nie eintreffen. Sie würden dem Moment in nervöser Erwartung entgegenfiebern, doch nichts würde geschehen. Die Uhren würden sich weiterdrehen, wie wenn nie etwas gewesen wäre.